Expressionismus Gedichte analysieren – Anleitung & Tipps

Expressionismus Gedichte analysieren

Wer das erste Mal ein Gedicht analysiert, tut sich damit naturgemäß oft schwer, bekommt man es doch mit einer Form von Auswertung von Sprachlichem zu tun, die ob ihrer Formelhaftigkeit den meisten eher fremd sein dürfte. Dabei ist es gar nicht so schwer, ein Gedicht zu analysieren, wenn man erst einmal die wichtigsten Merkmale einer Analyse verinnerlicht hat. Wie man die Gedichtanalyse eines Werks aus der expressionistischen Epoche aufbaut, welche Themengebiete man beachten muss und wie man Stilmittel erkennt und interpretiert – darüber klärt der folgende Artikel auf.

Vorab: So erarbeite ich mir die Analyse strukturiert

Um ein Gedicht erfolgreich zu analysieren, zeigt sich eine gute Struktur als unerlässlich. Dabei kann man einem klaren Schema folgen.

Zunächst müht sich der Leser oder die Leserin in der Einleitung der Analyse das Gedicht als einer Epoche zugehörig zu erkennen. Hier springen Motive und Themen ins Auge, die für den Expressionismus typisch sind. Auch Autor*in und Erscheinungsjahr geben in den meisten Fällen Hinweise darauf, ob es sich um ein expressionistisches Gedicht handeln könnte.
Im Anschluss folgt die genau Analyse. Hier empfiehlt es sich wichtige Stellen im Text farbig zu markieren und mit Notizen als Gedankenstütze zu versehen. Zum Schluss der Gedichtanalyse werden die erarbeiteten Information in einem Fließtext verarbeitet, der in Form und Struktur einem stets gleichen Aufbau folgt:

  • Einleitung,
  • Hauptteil,
  • Schluss

Ein Gedicht dem Expressionismus zuordnen

Damit eine Gedichtinterpretation gelingt, ist das A und O die Bestimmung der Literaturepoche, in welcher das Werk entstanden ist. Die Programmatik einzelner Epochen unterscheidet sich in Stil, Sprache und zugrundeliegender Idee, weshalb eine treffende Analyse von der Kenntnis der Epoche maßgeblich abhängt. Dabei sind nicht nur künstlerische Mittel als Hinweis auf die entsprechende Epoche zu werten, sondern auch Metadaten wie Autor*innenschaft und Erscheinungsjahr geben anhand ihrer unter Umständen gegebenen Historizität Aufschluss über das einzuordnende lyrische Werk. Expressionistische Werke weisen zumeist eine klare Motivik auf, die sich mit den Gräueln der Erfahrungen des Ersten Weltkriegs, der zunehmenden Technisierung während der Industrialisierung und der wachsenden Urbanisierung um die Jahrhundertwende auseinandersetzt. Bekannte Autor*innen sind Georg Trakl, Gottfried Benn, Georg Heym oder als Vorreiterin auch Else Lasker-Schüler. Expressionistische Gedichte zeigen sich vornehmlich von einer düsteren Stimmung geprägt, die sich an Emotionen und Themen wie Angst, Zerfall, Entmenschlichung und Isolation abarbeitet.

Autor und Erscheinungsjahr

Auch wenn man die literarische Epoche des Expressionismus etwa zwischen 1905 und 1925 verordnet, ist dies keineswegs als festgesteckter Rahmen zu verstehen, sondern vielmehr, wie bei jeder Epoche, als grobe Anleitung, da zu jener Zeit die meisten expressionistischen Gedichte erschienen sind. Auch später entstehen jedoch noch dem Expressionismus zuzuordnende Gedichte, wie etwa Kurt Tucholskys „Die Augen der Stadt“ aus dem Jahre 1932. Innerhalb der expressionistischen Literaturepoche kann das Jahr 1914 als Zäsur verstanden werden, lässt sich fortan doch eine starke Prägung der Lyrik durch die Schrecken des Ersten Weltkriegs bemerken.

Themen und Motive

Der expressionistische Themen- und Motivkatalog umfasst in einer Zeit grundlegender Umwälzungen (Zusammenbruch der Ordnung der Weimarer Republik, Erster Weltkrieg, Landflucht, Industrialisierung) vor allem düstere bisweilen gar makabere Inhalte. Eine wichtige Themen hier auf einen Blick:

Krieg: ab 1914 finden die schrecklichen Kriegserfahrungen der Lyriker*innen den Eingang in die Literatur. Leid und Tod sind hier vorherrschende Themen. Beispiel: Georg Trakl „Grodek“

Verlust des Individuums: Die Entmenschlichung durch die Gräuel des Krieges, die Obsoleszenz des Menschen als Individuum hin zur stumpfen Arbeitskraft aufgrund der zunehmenden Industrialisierung und das Untergehen in einer gesichtslosen urbanisierten Menschenmasse weckt in der Gesellschaft die Angst vor dem Verlust der eigenen Identität. Dieses Gefühl fängt beispielsweise Gottfried Benn in „Nachtcafé“ ein.

Großstadt: Durch die zunehmende Industrialisierung kommt es in der Gesellschaft zu einer Pauperisierung, also einer Verarmung, die vor allem die Landbevölkerung besonders hart trifft und diese zu einer Landflucht bewegt. Die Städte wachsen explosionsartig und im urbanen Raum entsteht eine neuartige Bedrohlichkeit, die sich durch Anonymisierung, Enge, Ghettoisierung und Lärm ausdrückt, die die überfüllten Großstädte produzieren. In Georg Heyms „Der Gott der Stadt“ wird diese gar als Götze „Baal“ bezeichnet.

Ästhetik des Hässlichen: Während der vorangegangene Realismus bzw. Naturalismus als schmuck- und leblose ästhetische Disziplin zunehmend in Verruf geriet, wollten Künstler*innen des Expressionismus das Erlebte ausdrucksstark verarbeiten. Dieser Ausdruck („lat.: „expressio“) bedient sich aggressiver Motive, wie der Auflösung von bekannten Formen und Strukturen, aber auch dem Hinweisen auf das so gern Verborgene Hässliche, Unkultivierte. Der von Karl Rosenberg geprägte Begriff „Ästhetik des Hässlichen“ ist dabei der Versuch einer Kategorisierung der Verarbeitung von Makaberem und Grausigem als literarisch-ästhetisches Motiv. Gottfried Benns „Mann und Frau gehen durch die Krebsbaracke“ darf sicherlich als Paradebeispiel für die Verwendung dieses expressionistischen Motivs angesehen werden.

Weltuntergang und Neuanfang: In den Jahren vor Kriegsbeginn machte sich auch unter einigen Lyriker*innen die Kriegslust als Möglichkeit für einen Neuanfang breit. Die wilhelminische Gesellschaft lag von Militarismus und Obrigkeitshörigkeit gelähmt am Boden, während sich politische und soziale Brennpunkte mehr und mehr aufheizten. Einige sahen den Krieg als einzige Chance zur gesellschaftlichen Umwälzung, andere ahnten, dass der Erste Weltkrieg das Ende der bisherigen Welt, aber nicht des Leids und Elends bedeuten würde. Im Gegenteil. Der Erste Weltkrieg würde als nie gekannter Schrecken in die Geschichte eingegangen sein. Beispiel für Vorkriegsliteratur: Georg Heyms „Krieg“ (1911)

Sprachliche Stilmittel im Expressionismus

Auch die Sprachgestaltung bedient sich auffälliger Stilmittel, die der eigen Motivik des Expressionismus entsprechen. Die Sprachgestaltung folgt, im Gegensatz zu Werken andere Epochen keiner festen Struktur oder Formel, sondern zeigt sich experimentell. Kurze, abgehackte Sätze prägen eine freie und unregelmäßige Sprachmelodie, die an eine zu der Zeit recht neue Kommunikationsmethode erinnert – das Telegramm. Auch Zeichensetzung oder Grammatikregel befinden sich mitunter in der Auflösung, was ebenso ein stilistisches Mittel zur Betonung von Auflösung und Orientierungslosigkeit darstellt. Ein expressionistisches Gedicht folgt in der Regel auch keinem festen Reimschema und bedient sich, wenn überhaupt, nur rudimentär lyrischer Ordnungsmethoden, wie Strophenaufbau oder einer metrischen Struktur. Die Individualisierung der Lyrik in ihrer Form versteht sich als antithetische Verarbeitung des Motivs Selbst-Verlust im Expressionismus. Wie auch die expressionistische Disziplin in der bildenden Kunst, bedient sich die Lyrik einer außerordentlich ausdrucksstarken Bildsprache. Metaphern, Personifikationen und Vergleiche prägen expressionistische Lyrik. Dabei ist die Sprache wenig blumig, sondern roh und direkt mit großer Bildhaftigkeit. Hier wird die Ohnmacht des menschlichen Individuums vor Größerem (Vgl.: „Gott der Stadt“) ebenso thematisiert wie die starke Betonung des Gefühls.

Gliederung einer Gedichtanalyse

Bevor die Gedichtanalyse also in einem Fließtext abgehandelt wird, sollte das vorliegende Gedicht gründlich durchgearbeitet werden. Hier empfiehlt es sich, Notizen zu typischen Motiven vorzunehmen und sprachliche Mittel in unterschiedlichen Farben zu markieren. So behält man leichter den Überblick beim Schreiben der Analyse.

Egal, welches Gedicht welcher Epoche analysiert werden soll: der Aufbau bleibt stets derselbe.
Eine Gedichtanalyse besteht stets aus Einleitung, Hauptteil und Schluss. In der Einleitung werden Metadaten wie Titel, Autor*in, Erscheinungsjahr und Epoche genannt. Auch eine knappe inhaltliche Zusammenfassung gehört in die Einleitung.

Der Hauptteil besteht aus der Analyse des Gedichts. Hier werden Form, Inhalt und Sprache untersucht. Das Vorwissen über expressionistische Merkmale ist hier Grundlage für die korrekte Analyse. Wichtig sind beim Durcharbeiten des vorliegenden lyrischen Texte vor allem die Belege aus selbigem. Jeder Gedanke benötigt einen Verweis an den Text.

Zum Schluss werden die Erkenntnisse der vorangegangen Analyse noch einmal zusammen gefasst und letztlich interpretiert. Hier ist das Wissen über die Bedeutung der sprachlichen Mittel in der Epoche des Expressionismus unerlässlich. Die Interpretation sollte stichhaltig an den erarbeiteten Stilmitteln belegbar sein und mit Verweise untermauert werden. Auch Querverweise zu anderen Texten der Epoche oder historischen Ereignissen sind möglich.

Beispiel Gedichtanalysen des Expressionismus:

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