„Mailied“ – Beispiel Gedichtanalyse/Interpretation

Mailied

Wie herrlich leuchtet
Mir die Natur!
Wie glänzt die Sonne!
Wie lacht die Flur!

Es dringen Blüten
Aus jedem Zweig
Und tausend Stimmen
Aus dem Gesträuch

Und Freud‘ und Wonne
Aus jeder Brust.
O Erd‘, o Sonne!
O Glück, o Lust!

O Lieb‘, o Liebe!
So golden schön,
Wie Morgenwolken
Auf jenen Höhn!

Du segnest herrlich
Das frische Feld,
Im Blütendampfe
Die volle Welt.

O Mädchen, Mädchen,
Wie lieb‘ ich dich!
Wie blickt dein Auge!
Wie liebst du mich!

So liebt die Lerche
Gesang und Luft,
Und Morgenblumen
Den Himmelsduft,

Wie ich dich liebe
Mit warmem Blut,
Die du mir Jugend
Und Freud‘ und Mut

Zu neuen Liedern
Und Tänzen gibst.
Sei ewig glücklich,
Wie du mich liebst!

Über Johann Wolfgang Goethe und das Gedicht „Mailied“

Das Mailied wurde 1776 von Johann Wolfgang Goethe geschrieben. Das Gedicht ist vom äußeren her eher als eine Art Lied zu betrachten. Es hat neun vierzeilige Strophen mit dem Reimschema „abca“. Nur die dritte Strophe reimt sich nicht. Das aufsteigende Metronom wird fast durchgängig eingehalten. Weiterhin kommen im Gedicht eine Fröhlichkeit und Leichtigkeit zum Ausdruck, die auch durch eine äußere Form verstärkt werden.

Gedichtanalyse des „Mailied“

Inhaltlich drückt das Gedicht die Schönheit der Liebe durch Vergleiche mit der Natur aus, von einer universellen Leidenschaft für die Natur über Vergleiche mit der Liebe bis hin zur Liebe des lyrischen Ichs zu einem Mädchen.
In der ersten Strophe kommt zunächst eine erhabene Leidenschaft für die Schönheit der Natur zum Ausdruck, für die eine sehr bildhafte Sprache verwendet wird, beispielsweise in der ersten Strophe „Wie herrlich leuchtet mir die Natur!“ Auch die Personifikation „Wie lacht die Flur!“ (V.4) unterstützt den Ausdruck der Freude des lyrischen Ichs, wie in den Versen 1, 3 und 4 mit „Wie …“ den Ausdruck der Begeisterung. Der einfache Satzbau soll den unbeschwerten Selbstausdruck des lyrischen Ichs zum Ausdruck bringen. Der nächste Abschnitt setzt die Leidenschaft für die Natur fort und beschreibt Naturereignisse detaillierter. Die Blume „Aus jedem Zweig“ (V. 6) wird hier mit einem lyrischen Selbstgefühl gleichgesetzt, das ebenfalls in den Vordergrund tritt. Die Metapher „Und tausend Stimmen/Aus dem Gesträuch“ (V.7-8) bedeutet die Kraft des Frühlings.

Diese Aussage wird im nächsten Abschnitt über die Verbindung mit menschlichen Emotionen fortgesetzt. Die Häufung der Strophen 11-12 beleuchtet die Gleichsetzung von Natur und Wohlbefinden, und die ekstatische Euphorie vom lyrischen Ich wird durch den Zwischenruf „O…“ (Verse 11-12) noch einmal verstärkt. Im nächsten Abschnitt wird die Liebe beschrieben und mit Naturereignissen verglichen. Ein religiöses Thema wird hier bereits angedeutet, nämlich durch die Wendung „Auf jenen Höhn“ (V. 16), was im religiösen Sinne den Himmel bedeuten kann. Dieses Thema taucht in Vers fünf erneut auf, weil es immer noch um die Liebe geht. Die Personifizierung von „Du segnest herrlich/Das frische Feld“ (Vv. 17-18) sagt, dass die Liebe göttlich ist. Synästhesie „Blütendämpfe“ (V.19) betont die verführerische Wirkung der Liebe, die alle Sinne umfasst.

In der sechsten Strophe konkretisiert das lyrische Ich, wie es sich fühlt, und es spricht von einem Mädchen, das die Liebe ebenfalls erwidert. Die Parallele der Verse 22-23 betont die Ähnlichkeit und Gemeinsamkeit von Gefühlen, und der Satz ist eine Interjektion, die die Begeisterung erneut betont. In den folgenden Strophen vergleicht das lyrische Ich seine Liebe zu dem Mädchen mit verschiedenen Naturereignissen. Zunächst mit der Inkarnation einer Lerche, die „Gesang und Luft“ liebt (V. 25-26). Diese beiden Worte drücken den Sinn des Lebens des Vogels aus, also ist der lyrische Sinn des Ichs die Liebe zu dem Mädchen. Dasselbe gilt für die Personifizierung der „Morgenblumen“ (Abschnitt 28). Der Vergleich wird in Abschnitt 8 fortgesetzt, wobei ein weiterer Abschnitt zum letzten Abschnitt springt. Das lyrische Ich spricht mit dem Mädchen, bekräftigte seine Liebe erneut und sagte, dass sie ihm Energie und Inspiration gebe (Verse 31-34).
Insbesondere die Liebe als Inspiration für „zu neuen Liedern und Tänzen“ (Verse 33-34) zeigt, dass das lyrische Ich ein für die Sturm-und-Drang-Zeit typisches Mittel ist. Die letzten beiden Sätze weisen auf die Unsterblichkeit der Liebe hin, aber das lyrische Ich hofft, dass das Glück des Mädchens von der Wiederkehr der Liebe abhängt. Diese Dichotomie zwischen Selbstlosigkeit und totaler Hingabe einerseits und Selbstbehauptung andererseits spiegelt auch die Kernideen der Sturm-und-Drang-Zeit wider. In diesem Gedicht überwiegt jedoch der Aspekt der selbstlosen Liebe zur Natur, was durch die Interpretationshypothese gestützt wird.

Wozu macht man eine Gedichtanalyse?

In der Gedichtanalyse untersuchen Sie Inhalt, Struktur und Sprachgestaltung eines Gedichts im Detail. Die typischen Merkmale eines Gedichts, die Sie ansprechen werden, beziehen sich auf Art, Reim, Strophen und Stilmittel des Gedichts. An die eigentliche Analyse schließt sich in der Regel eine Interpretation des Gedichts an. Darin beschreiben Sie nicht nur die sprachliche Anomalie des Gedichts, sondern Sie fügen auch eine Erklärung hinzu.

Leitfaden für eine Gedichtinterpretation

Dieser Leitfaden wird Ihnen eine Hilfe für die Gedichtinterpretation sein. Eine Gedichtinterpretation wird immer im Präsens geschrieben.

A. Einleitung

Nennen Sie in der Einleitung:

  • den Autor
  • den Titel und die Gedichtart
  • Epoche
  • Datum der Entstehung
  • Themenstellung des Gedichts
  • Beschreibung des ersten Eindrucks nach dem lesen

Erster Eindruck

Beschreiben Sie entstandene Gefühle, die beim lesen aufkamen.

Sie können im ersten Eindruck

  • persönliche Erfahrungen zum Thema schreiben
  • ein aktuelles Thema wählen, welches zum Gedicht passt
  • etwas über die Entstehungsgründe des Gedichts oder zur Biographie des Autors schreiben
  • Vermutungen, die der Titel des Gedichts bei Ihnen auslöst.

B. Hauptteil

Im Hauptteil einer Gedichtinterpretation gehen Sie auf den Aufbau, den Inhalt sowie Sprache und Stilmittel ein.

Besonders wichtig ist darauf einzugehen, was Sprache und Aufbau des Gedichtes mit der Betonung des Inhaltes machen.

Welchen Inhalt hat eine Gedichtinterpretation?

  • Was ist das Thema des Gedichtes
  • Was beschreibt das Gedicht: persönliches Erlebnis, eine Zeit, einen bestimmten Ort, eine Jahreszeit?
  • Bezieht sich der Titel auf das Thema?
  • Was ist an dem Gedicht besonders?
  • Wer spricht? Das lyrische Ich oder der Dichter selbst? Spricht ein Mann oder eine Frau? Spricht das lyrische Ich mit jemandem?

Um welche Gedichtsform handelt es sich bei dem Gedicht?

Sprache:

  • Gibt es auffällige Wörter als Schlüsselwörter?
  • In welcher emotionalen Lage spricht das lyrische Ich?
    Ist es fröhlich, euphorisch, träumerisch, traurig, melancholisch.
  • An welchen Stellen des Gedichts zeigt sich diese Emotion?
  • Welche Stilmittel (Symbole, Metaphern, Vergleiche, Personifikationen, Anaphern, Alliterationen) werden verwendet?
  • wie ist der Satzbau? (kürzer, länger, verschachtelt, gehobene Sprache)
  • Gibt es ein lyrisches Ich? In welcher Person spricht es?
  • Wie wirkt das lyrische Ich oder die Person? Welche Persönlichkeit hat es/sie?
    –> streng, offen oder zurückhaltend?
  • Welche Stimmung erzeugt die Sprache?
  • welche Gefühle ruft die im Gedicht genutzte Sprache hervor?
  • Um welche Zeit handelt es sich im Gedicht? (Präsens, Präteritum, Futur)

C. Schlussteil

Wenn Sie in der Einleitung auf ein persönliches Erlebnis, die Biographie des Autors oder ein aktuelles Ereignis eingegangen sind, können Sie dies im Schlussteil erneut mit der gewonnenen Information aus dem Gedicht bewerten.

  • Gefiel Ihnen das Gedicht? Wurde eine in der Einleitung aufgestellte Vermutung bestätigt?
  • Was soll das Gedicht aussagen?
  • Stellt das Gedicht eine offene unbeantwortete Frage?

Hoffentlich haben Sie einen kleinen Überblick über die Gedichtanalyse und Gedichtinterpretation erhalten. Außerhalb des schulischen Rahmens begegnet man eher selten einer Gedichtinterpretation. Begibt man sich auf Erkundungstour nach dem Autor und seinen Lebensumständen, sowie den Gründen für sein Gedicht, kann selbst eine eher trocken anmutende Gedichtanalyse zu einer kleinen Zeit- und Erlebnisreise werden.

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