Hier handelt es sich um eine Beispiel-Gedichtinterpretation für Schüler in Deutsch.
Der Expressionismus und seine Merkmale
Das Sonett „Auf der Terrasse des Café Josty“ ist 1912 der Feder von Paul Boldt entstanden und gehört somit in die Epoche des Expressionismus. Diese Periode war eine insbesondere ausdruckskräftige Zeit, was vor allem in der Kunst und Literatur erkennbar wurde. Das Wort Expressionismus stammt vom Lateinischen ex-pressio was nichts anderes als Ausdruck bedeutet. Es handelt sich somit um die Ausdruckskunst. In der Literatur bedeutete dies eine enorme Einbringung von Metaphern und Symbolik. Die Expressionisten brachen die Traditionen und lehnten die ursprünglichen lyrischen Formen ab. Vielmals benutzten sie verwerfliche und anstößige Elemente in ihren Werken.
Beispiel:
Zitat:
„Rissig werden Häuserwände.
Fische faulen in dem Flusse.
Alles nimmt sein ekles Ende.
Krächzend kippen Omnibusse.“
Prophezeiung von Alfred Lichtenstein
Ein klarer Appell an die Leser, sich mit den Begebenheiten kritisch auseinanderzusetzen und die Realität ins Auge zu fassen. In der Sprache hoben sich die Expressionisten entschieden von anderen Stilrichtungen ab. Sie sorgen für eine realitätsnahe Beschreibung der tatsächlichen Zustände. Die Werke im Expressionismus sind ein Weckruf an die Menschheit geprägt von Kritik, Diskrepanz und Tod. Die Künstler legen großen Wert auf die eigenen Gefühle und das Begehren nach Veränderung.
Deutschland und Frankreich waren besonders geprägt vom Expressionismus. Jakob von Hoddis, Franz Kafka und Heinrich Mann sind wichtige Künstler dieser Literaturepoche.
„Auf der Terrasse des Café Josty“ – Inhalt
Das Café Josty – eine Berliner Konditorei, gegründet von den Brüdern Josty im Jahr 1796, wurde ab 1812 ein beliebtes Künstlercafé auf dem Potsdamer Platz. Von der Terrasse konnten die Gäste auf den Potsdamer Platz blicken und dem Treiben zusehen. So fand auch Paul Boldt seine Inspiration für dieses Gedicht.
Das Sonett lässt sich in vier Teile einordnen und jeder Abschnitt entspricht einer Strophe.
Zitat:
„Der Potsdamer Platz in ewigem Gebrüll
Vergletschert alle hallenden Lawinen
Der Straßentrakte: Trams auf Eisenschienen,
Automobile und den Menschenmüll.“
In der ersten Strophe beschreibt er die Hastigkeit Berlins und die Geschehnisse am Potsdamer Platz Anfang des 20. Jahrhunderts. Der Lärm, welcher sowohl durch den Verkehr wie auch durch die Menschen verursacht wird, verglichen mit hallenden Lawinen. Das Leben einer Großstadt, die betriebsame Atmosphäre und die Hektik werden hervorgehoben.
Zitat:
„Die Menschen rinnen über den Asphalt,
Ameisenemsig, wie Eidechsen flink.
Stirne und Hände, von Gedanken blink,
Schwimmen wie Sonnenlicht durch dunklen Wald“
In der zweiten Strophe wird das Menschengewimmel deutlich, welcher von der Terrasse aus zu beobachten ist. Ein Durcheinander von Menschen, die gedankenlos umherirren. Sie werden verglichen mit Ameisen (Ameisenemsig), und Eidechsen (wie Eidechsen flink), weil sie automatisch funktionieren.
Zitat:
„Nachtregen hüllt den Platz in eine Höhle,
Wo Fledermäuse, weiß, mit Flügeln schlagen
Und lila Quallen liegen – bunte Öle;“
In der dritten Strophe schildert der Dichter die bedrohliche und widerliche Großstadt-Atmosphäre bei Nacht. Hier verwendet er ein weiteres Stilmittel – Farben: „Weiße Fledermäuse“, „lila Quallen“ und „bunte Öle“. Diese sollen dem Leser ein unschönes, fast ekelerregendes Bild der Stadt bei Nacht zukommen lassen.
Zitat:
„Die mehren sich, zerschnitten von den Wagen. –
Aufspritzt Berlin, des Tages glitzernd Nest,
Vom Rauch der Nacht wie Eiter einer Pest.“
Diesen Eindruck vermittelt Paul Boldt in der vierten Strophe erneut. Die Nacht der Großstadt verglichen mit Eiter einer Pest. Eine bedrohliche, ekelerregende Situation.
Sprache und Form
Diese Themen reflektieren das trübe und bedrückende Gefühl der Expressionismus-Epoche. Die Möglichkeit sich zu entfalten ist nicht gegeben. Man ist eine Nummer in einer riesigen Stadt. Der Mensch wird willen- und orientierungslos.
Das Gedicht ist in einer Sonettform geschrieben: Zwei Quartetten und zwei Terzetten. Die ersten bestehen aus zwei Strophen mit je vier Versen. Die zweiten aus zwei Strophen mit je drei Versen. In diesem Gedicht hat der Dichter somit das Bild verstärkt, indem die ersten zwei Strophen den Tag und die letzten zwei die Nacht wiedergeben. Der Dichter achtet auf eine Reimstruktur: Bei den Quartetten reimt sich der erste auf den vierten Vers und der zweite auf den dritten Vers.
Bei den Terzetten handelt es sich um einen Kreuzreim und einen abschließenden Paarreim.
Nebst Metaphern verwendet der Dichter ebenso Personifikationen: Etwas Unbelebtes lässt er beleben, wie das „ewige Gebrüll“, welches wahrgenommen wird. Ein Elend der Menschen, die unentwegt dem Lärm ausgesetzt sind. Die Personifikation „hallenden Lawinen“ ist eine Metapher für die vielen Verkehrsmittel, die sich durch die pulsierende Stadt bewegen. „Menschenmüll“ als Neologismus (neues Wort) bedeutet etwas Unbrauchbares. Keine Individualität, sondern eine Menschenmasse, wo jeder Einzelne verloren geht. „Vergletschert“ symbolisiert emotionslose Menschen und kühle Atmosphäre.
In der nächsten Strophe benutzt er den Vergleich mit Tieren: „ameisenemsig“ und „wie Eidechsen flink“. Damit setzt er als Stilmittel die Emphase ein, um dem Ganzen Nachdruck zu verleihen.
Wie bereits erwähnt setzt Boldt Farben ein: „lila Quallen“, „bunte Öle“, „Fledermäuse, weiß“. Aber auch indirekt verbinden die Strophen mit Farben: Bei Nacht denken wir instinktiv an Schwarz, bei Sonnenlicht an etwas Helles.
Analyse
Beim Lesen dieses Gedichtes wird Ihnen die Lebensqualität der Menschen aus dieser Zeit näher gebracht. Ein tristes Zeitalter mit überfüllten Städten, in welchem die Menschen leiden und eine Aversion ihrer Stadt gegenüber empfinden.
Boldt ist es gelungen, mithilfe sprachlicher Stilmittel, die Schattenseiten des Lebens in Berlin zu beschreiben. Er zeigt, wie die Großstadt von Umweltbelastung und der Trivialität Einzelner, bestimmt ist. Dabei lassen sich Parallelen zu heutiger Zeit ziehen: Anonymität sowie Einsamkeit sind heute mehr denn je vorhanden.
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