Was ist ein umarmender Reim? – Funktion, Beispiel, Wirkung

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Was ist ein umarmender Reim

Bei der Frage, was ein umarmender Reim ist, befinden wir uns in der Literaturwissenschaft im Teilgebiet der Lyrik. Umarmende Reime sind fester Bestandteil von Gedichten und werden, neben dem Paarreim, dem Kreuzreim oder dem Schweifreim, eingesetzt um bestimmte Inhalte miteinander zu verbinden.

Rein „technisch“ betrachtet wird ein umarmender Reim aus mindestens vier Zeilen gebildet, wobei Zeile 1 und Zeile 4 ein Reimpaar bilden, dass das weitere Reimpaar in Zeile 2 und 3 umarmt. Am häufigsten findet man Reimpaare in Gedichten mit vierzeiligen Strophen. Es gibt aber auch die Möglichkeit weitere Paarreime zwischen das umklammernde Reimpaar zu schieben. Wichtig ist dabei nur, dass die Zeilen des umarmenden Reims Anfang und Ende einer Gedichtstrophe bilden. Folgt man dieser Systematik ergibt sich folgendes Reimschema abba

Der umarmende Reim am Beispiel von „Es ist alles eitel“ von Andreas Gryphius

Schauen wir uns ein konkretes Beispiel an. Der Vierzeiler stammt aus dem Sonett „Es ist alles eitel“ von Andreas Gryphius, einer der bekanntesten Dichter und Poeten aus Zeiten des Barocks. Hier sind seine vier Zeilen:

„Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden.
Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein;
Wo jetzt noch Städte stehen, wird eine Wiese sein,
auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden.“

Schauen wir uns diese vierzeilige Strophe genauer an, stellen wir fest, dass sich die Endwärter der ersten und vierten Zeile reimen sowie die Endwörter der zweiten und dritten Zeile. Die Worte „Erden“ und „Herden“ bilden den umarmenden Reim, die den Paarreim aus „ein“ und „sein“ umschließen.

In dem Sonett von Gryphius geht es sogar noch einen Schritt weiter. Nämlich dann, wenn wir uns die zweite Strophe des Sonetts anschauen:

„Was jetzt und prächtig blüht, soll bald zertreten werden;
was jetzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch und Bein;
nichts ist, das ewig sei, kein Herz, ein Marmorstein.
Jetzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden.“

Auch hier reimen sich wieder die ersten und vierte Zeile der Strophe und umklammern den Paarreim, der sich aus der zweiten und dritten Zeile bildet. „Werden“ und „Beschwerden“ umschließen „Bein“ und „Marmorstein“. Beide Strophen zusammen genommen ergibt sich hier ein doppelter umarmender Reim, denn die beiden ersten Zeilen der beiden Strophen reimen sich mit den beiden letzten Zeilen der beiden Strophen und auch die Zeilen 2 und 3 aus beiden Strophen reimen sich.

In einer Gedichtanalyse würde das Reimschema so gekennzeichnet werden: abba abba. Wären die Reimverse in der zweiten Strophe aus anderen Worten und dementsprechend neuen Reimwörtern gebildet worden, so würde man dies durch das Reimschema wie folgt kennzeichnen: abba cddc.

Die Wirkungsweise umarmender Reime in Gedichten

Grundsätzlich haben Reime immer auch einen Einfluss auf den Rhythmus, die Melodie, die geschaffene Stimmung und damit auch auf Bedeutung und Intention eines Gedichts. Die reimenden Wörter stehen in der Regel in einer Beziehung zueinander. Welche Wirkung wird also mit einem umarmenden Reim innerhalb eines Gedichts erzeugt? Wir erinnern uns?

Der umarmende Reim schließt einen anderen Paarreim mit ein. Inhaltlich bedeutet dies häufig, dass die Zeilen des umarmenden Reimes einen inhaltlich geschlossenen, bzw. abgeschlossenen Sinnabschnitt darstellen. Strophe eins steht somit vom Sinn her abgrenzend zur zweiten Strophe oder man möchte eben jene Sinnabschnitte aufheben, wie Gryphius es in seinem Sonett gemacht hat und verbindet durch den gleichen Reim die beiden sonst thematisch getrennten Strophen miteinander. Wird ein Reimschema nach abba cddc gewählt, so haben die Strophen meist auch einen anderen Schwerpunkt; stehen häufig sogar in einem Antagonismus gegenüber.

Doch es lässt sich noch filigraner mit dem umarmenden Reim spielen. Denn dadurch, dass auch der umschlossene Paarreim eine in sich geschlossene Einheit bildet, können selbst diese zwei Strophenzeilen sich inhaltlich vom umarmenden Reim abgrenzen. Inwieweit Inhalte ineinander überfließen, zu einer Einheit verschmolzen werden oder in Abgrenzung zueinander stehen wird immer erst durch die letzte, vierte Zeile und den abschließenden umarmenden Reim deutlich. Deswegen wird dem umarmenden Reim auch häufig eine überraschende Wirkung nachgesagt. Denn erst wenn die Einheit des umarmenden Reims geschlossen wird, ist der Inhalt der Strophe in seinem ganzen Ausmaß erfassbar.

Es ist immer ein spielen mit Worten, Reimen und Inhalten und das In-Beziehung-Setzen. Das macht Lyrik aus und der umarmende Reim ist einer von zahlreichen stilistischen Mitteln, die helfen ein Gedicht mit Leben, Authentizität und Gefühl zu füllen.

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