Städter von Wolfenstein – Beispiel Gedichtanalyse / Interpretation

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Städter von Wolfenstein - Beispiel Gedichtanalyse

Einleitung

Das Gedicht „Städter“ von Alfred Wolfenstein ist 194 entstanden und veröffentlich worden. Es lässt sich der literarischen Epoche des Expressionismus zuordnen und thematisiert tiefgründig das Paradox des Großstadtlebens: Viele Menschen auf engem Raum, die in Einsamkeit und Anonymität der Großstadt drohen unterzugehen, obwohl das Leben um sie herum pulsiert. Die von Wolfenstein gewählte Form des Sonetts, mit seinem umarmenden Reimen untermalt in stilistischer Form nochmal besonders das Gefühl der einengenden Großstadt, die einen doch alleine lässt.

Beim ersten Lesen erweckt der Autor unmittelbar eine einengende, triste, farblose und traurige Atmosphäre vom Leben in der Großstadt. Die Intention des Autors könnte darauf resümiert werden, dass er versucht durch sein Gedicht und seine Worte die Menschen darauf hinzuweisen, dass die Gesellschaft trotz einem immer enger werdenden geteilten Lebensraum mehr und mehr auseinander zu brechen droht. Trotz physischer Nähe fühlt sich der Mensch zunehmend mehr isoliert und abgekapselt. Ein Paradox.

Stilistischer Aufbau

Das Gedicht ist in Form eines Sonetts geschrieben. Es umfasst daher vier Strophen, von denen die ersten beiden Strophen jeweils vier Verse, die letzten beiden Strophen jeweils drei Verse umfassen. In der Literaturwissenschaft spricht man von zwei Quartetten, auf denen zwei Terzette folgen. Die Quartette sind in umarmender Reimform geschrieben, während die Terzette sich übergreifend reimen. Auch das ist typisch für ein Sonett. Beim Metrum hat sich Wolfenstein für den fünfhebigen Trochäus entschieden. Ein sehr düsteres und trauriges Versmaß, dass gut zur allgemeinen Stimmung des Sonetts passt.

Auch inhaltlich hat Wolfenstein sich den Aufbau des Sonetts zunutze gemacht, sodass die beiden Quartette allgemein die Enge und Tristheit der Großstadt beschreiben, während die beiden Terzette sich auf die Gefühle der Großstadtmenschen beziehen. Wolfenstein arbeitet viel mit bildhaften Vergleichen; ein sprachliches Mittel, dass verstärkt Identifikation beim Leser hervorrufen soll.

Inhaltliche Analyse

Bereits die erste Strophe beginnt unmittelbar mit einem Vergleich. Der Leser wird unmittelbar in die Enge und Eingeschränktheit des Großstadtlebens geworfen. Wie eng die Fenster, wie nah die Häuser, wie viele Menschen … und doch hat ein jedes Fenster, ein jedes Haus, ein jeder Mensch nur den einen, den seinen Blick. Die erste Strophe vermittelt ein unglaubliches Gefühl der Enge und Bedrücktheit sowie Rastlosigkeit und Stress. Das schafft Wolfenstein unter anderem durch den umarmenden Reim und den temposteigernden Zeilenumbrüchen. Denn neben der Enge und Atemlosigkeit der Großstadt, herrscht hier auch Hektik, Stress, Panik und Flucht. Man ist sich so nah und doch so fern voneinander. Die Enge wird als unangenehm und beengend, nicht aber als wärmende und geborgenheitsfühlende Nähe empfunden.

Während in der ersten Strophe noch Menschen mit Häusern gleichgesetzt werden, führt Wolfenstein in der zweiten Strophe anhand des Beispiels einer Fahrt in der Straßenbahn die Anonymität durch ständiges Depersonalisieren an. Der Mensch wird zur Fassade, wie Wolfenstein es schreibt. Diese Fassade gleicht einer oberflächlichen Gefühlskälte und Abgestumpftheit. Die Menschen verbarrikadieren sich in sich selbst und werden zur Fassade, während aber die Augen, die als Spiegel des Herzens und der Seele gesehen werden kann und nach Nähe und Geborgenheit sucht, orientierungslos nach Gleichgesinnten suchen. Doch die Furcht und Scheu der Masse, lässt auch diesen Wunsch hinter der Fassade ersticken.

Innerhalb der Terzette wird der Blickwinkel gewechselt. Das Lyrische-Ich tritt verstärkt in den Fokus und beschreibt die Wirkung dessen, was in den ersten beiden Strophen als Großstadtszenario kreiert wurde. So eng die Menschen beieinander sind, so dünn die Häuserwände und das ungewollte, unbeabsichtigte Teilhaben am Leben der anderen, lässt auf mangelnde Privatsphäre schließen … und doch ist man getrennt voneinander. Diese Trennung wird in der letzten Strophe besonders hervorgehoben. Wolfenstein schafft dies durch einen scheinbaren Widerspruch. Denn so dünn die Wände zwischen den Häusern und Wohnungen auch sein mögen, so dick sind sie ebenfalls. Ein jeder Mensch verbarrikadiert sich auf besonders leise Weise in seinen eigenen vier Wänden, damit ja nichts nach Außen dringen kann … von seiner Einsamkeit, seinen Ängsten, seinen Sorgen, seiner Hektik und seinem stressigen Alltag. Menschen hausen, sie leben nicht. Sie verschließen sich.

Fazit

Das Bild der Menschen in der Großstadt, das Wolfenstein in seinem Sonett „Städter“ zum Ausdruck bringt, kann trauriger und wahrhaftiger nicht beschrieben werden. Schaut man auf die damalige Zeit, die extrem von Industrialisierung und Urbanisierung geprägt war, so wird deutlich, wie überfordert der Mensch als fühlendes Wesen mit der voranschreitenden und über einen hinwegrollenden gesellschaftlichen Veränderung war. Das äußert sich in dem Gefühl der Einsamkeit, der fehlenden vertrauten Nähe, der mangelnden offenen Kommunikation und dem Rückzug des Menschen in sich und seine stille Höhle, in der er hausen, aber nicht frei atmen, leben und sein kann.

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