Interpretationen und das Analysieren von Gedichten gehört zu den wichtigsten Dingen im Deutschunterricht und ist auch entsprechend unter Schülern und auch noch unter Studenten gefürchtet. Doch was hat es damit auf sich? Worauf muss man achten? Und wie kann eine Analyse und eine Interpretation als Beispiel anhand „Das zerbrochene Ringlein“ aussehen?
Es heißt nicht umsonst Dichtung
Dichtung und Gedichte. Man nutzt diese Worte nicht umsonst, denn im Gegensatz zu einer Kurzgeschichte oder gar einem Roman werden hier ganze Lebensinhalte und Geschichten sehr verdichtet dargestellt. Viele Information in einen einzigen Vers. Gute Dichter bekommen genau das hin und dennoch kann man die ganze Fülle darin erkennen. Das macht die Dichtkunst wirklich aus. Alles sagen, was man sagen will, und doch nur ganz wenige Wörter miteinander in die richtige Kombination bringen.
Wie man vorgeht
Zunächst muss man das Gedicht erst mal durchlesen. Das ist klar. Mehrmals kann nicht schaden, denn es kann bei einem guten Gedicht Dinge geben, die man erst beim zweiten Blick wirklich zur Gänze erfassen kann. Und dann befasst man sich mit den Details. Wie ist das Gedicht gegliedert? Wer hat es geschrieben und wann? Welche Form hat es? Welches Metrum? Welches Reimschema? All diese Dinge, die sich nicht mit dem Inhalt, sondern allein mit der Form befassen, sind zuerst von Relevanz.
Und dann geht man an den Inhalt und geht Zeile für Zeile und Strophe für Strophe durch. Was fällt einem auf? Welche Metaphern und andere rhetorische Mittel könnte es geben? Welche Figuren werden benutzt? Warum schreibt der Autor es genau so und nicht anders. All das kann für eine Interpretation, die den Inhalt möglichst akkurat trifft, von entscheidender Bedeutung sein.
Das zerbrochene Ringlein:
In einem kühlen Grunde
Da geht ein Mühlenrad,
Mein Liebste ist verschwunden,
Die dort gewohnet hat.
Sie hat mir Treu versprochen,
Gab mir ein’n Ring dabei,
Sie hat die Treu gebrochen,
Mein Ringlein sprang entzwei.
Ich möcht als Spielmann reisen
Weit in die Welt hinaus,
Und singen meine Weisen,
Und gehn von Haus zu Haus.
Ich möcht als Reiter fliegen
Wohl in die blutge Schlacht,
Um stille Feuer liegen
Im Feld bei dunkler Nacht.
Hör ich das Mühlrad gehen:
Ich weiß nicht, was ich will –
Ich möcht am liebsten sterben,
Da wärs auf einmal still!
Ein Beispiel
1813 verfasste Joseph von Eichendorff das Gedicht „Das zerbrochene Ringlein“. Es handelt sich um die seelischen und psychischen Auswirkungen einer zerbrochenen Liebe und (wohl) eines Ehebruchs oder des Eheschwures. Das ganze Gedicht dreht sich um ein lyrisches Ich, was mit seinen Gefühlen umgehen muss.
Geschrieben wurde das Gedicht in der Zeit der Hochromantik (Epoche) und so wird die Liebe und der Bruch der Ehe thematisiert und mit vielen romantischen Motiven ausgekleidet, wie es epochentypisch ist.
Das Gedicht beinhaltet nicht nur eine spezielle Gefühlswelt eines lyrischen Ichs, sondern richtet sich in seiner Kürze auch an alle anderen Menschen, die schon einmal Liebeskummer gehabt haben und diese sollen sich darin wiedererkennen können.
In der Form ist das Gedicht in 20 Verse unterteilt, die wiederum in jeweils fünf Strophen mit je vier Versen aufgeteilt sind. Das Reimschema erzeugt eine gewisse Stabilität durch einen regelmäßigen Kreuzreim (abab). Das Versmaß ist ein ebenso gleichmäßiger dreihebiger Jambus. Das alles erzeugt eine Ruhe, eine Ordnung und eine Regelmäßigkeit, als handle es sich um ein Lied.
Die Form kann schon darauf hinweisen, dass das lyrische Ich die Form und die Fassung bewahren möchte, was immer auch in ihm vorgeht. Der Alltag und die Gefühlswelt und das Erscheinungsbild geordnet, was immer auch passiert.
Inhaltlich geht es in der ersten Strophe darum, dass die Liebe des lyrischen Ichs verschwunden sei und nicht mehr dort lebe, wo sie bisher gelebt habe. In der zweiten Strophe erfahren wir, dass es sich wohl um den Bruch der Treue gehandelt habe. In der dritten Strophe geht es um die Pläne und die Zukunft des lyrischen Ichs als Künstler, in der vierten Strophe geht es um den Plan, ein Leben als Soldat auf dem Feld zu verbringen und in der letzten offenbart sich ein nihilistisches Bild des im wahrsten Sinne lebensmüde gewordenen lyrischen Ichs.
Das Gedicht startet mit einer Ortsangabe und einer Allusion bezüglich der Gefühlswelt des lyrischen Ichs. Es ist „kühl“ und so scheint er auch die Situation und in diesem Moment die ganze Welt wahrzunehmen.
Die Allegorie des Mühlenrads verrät uns etwas sowohl dem Wohnort der Geliebten als auch über den „kühlen Grund“, in dem sich das lyrische Ich grad befindet und fühlt. Und auch bewegt sich das Rad im Kreis und so, in einem gewissen Trott, kann sich auch das lyrische Ich gefangen fühlen. Hoffnung und Schmerz und wieder Hoffnung. Ein ewiger Kreislauf. Und das verbindet sich auch mit der oben genannten Regelmäßigkeit der Form dieses Gedichts.
Liebste“ ist in der weiblichen Form geschrieben, was uns vergewissern lässt, dass es sich (in dieser Zeit) um ein männliches lyrisches Ich handelt.
Vers 3 ist besonders wichtig, weil dieser durch seine Struktur aus dem Rahmen fällt. Grunde“ und „verschwunden“ sind kein sauberer Reim und auch der Trochäus durchbricht den Rhythmus des Gedichts deutlich. Hier kommt das Innere des lyrischen Ichs aus dem Takt und so soll es auch dem Leser ergehen. Hier ist Aufmerksamkeit gefragt, hier kommt man ins Stolpern, wenn man es liest. Das betont die Wichtigkeit dieser Erkenntnis des lyrischen Ichs und seine Bedeutung und Konsequenz.
In der zweiten Strophe erscheint zum ersten Mal der Ring. Er ist ein Symbol für viele Dinge. Treue, Bindung, Unendlichkeit, das Widerkehrende und die Stabilität. Es ist auch wieder ein Symbol für den Kreislauf, für die Regelmäßigkeit, die im Leben des lyrischen Ichs wirkt. Es wird ebenso auf die gebrochene Treue aufmerksam gemacht und noch mal verniedlicht vom Ring gesprochen, als darauf hingewiesen wird, dass dieser zerbrochen sei. Man kann es so interpretieren, dass eine schöne Regelmäßigkeit nun ebenso zerbrochen sei. Die Verniedlichung zeigt ebenfalls eine Zerbrechlichkeit an. Die Zerbrechlichkeit der schönen Dinge des Lebens und der Sicherheit, die man meint, darin zu erkennen.
Die Anapher mit dem Wort „Und“ in der nächsten Strophe gibt sowohl die Möglichkeit einer erneuten Regelmäßigkeit, die dem lyrischen Ich bevorstehen könnte, und es herrscht zum ersten Mal ein optimistischer Hauch. Das Ich spricht von der Möglichkeit, die Welt zu sehen mit einem Anflug von Fernweh und davon, die Welt zu bereichern mit seiner Weisheit und Erfahrung.
In der vorletzten Strophe träumt das lyrische Ich weiter und will als Reiter fliegen. Ein Symbol für Freiheit und Unabhängigkeit. Das Reitertum oder Soldatentum als Möglichkeit, sich von Fesseln der Gegenwart zu befreien. Und lieber ist im wohl die blutige Schlacht als das Jetzt. Er scheint sich auch nach der Kameradschaft am Feuer in der Nacht auf dem Felde zu sehnen. Das Feuer als Symbol der Wärme, die er ja verloren hat, wie wir vorher gesehen haben. Und dieser Traum soll ihm die Wärme und die Geborgenheit zurückbringen, was es auch kostet, und wenn es die blutige Schlacht ist. „Stille Feuer“ kann auch als Oxymoron gesehen werden und könnte anzeigen, dass das lyrische Ich sich aufgrund seines Schmerzes in eine unrealistische Fantasie einlässt.
Die letzte Strophe führt das lyrische Ich wieder an den Anfang. Und wie das Mühlrad selbst ist er wieder da, wo er angefangen hat. Er ist unentschlossen, unsicher und doch will er Grenzen überschreiten und alles beenden, was ihn selbst ausmacht und was sein Leben war. Nach Stille sehnt er sich und nach dem Tod, weil er dann nicht mehr das ertragen müsste, was er erträgt und weil die Kälte dann aufhören würde, fühlbar zu sein.
Zusammenfassung
„Das zerbrochene Ringlein“ ist ein Gedicht der Romantik und so beschäftigt es sich mit Liebe, einer tiefen Gefühlswelt, einer Sehnsucht und zugleich der Hoffnungslosigkeit. Der Autor zeigt eine komplexe Welt und macht es dem Lese doch so begreiflich, dass man es regelrecht fühlen kann, auch weil das Thema so gewählt worden ist, dass es zeitlos ist, denn Liebeskummer gab es vorher und gab es auch immer hinterher. Das lyrische Ich ist dabei auch immer man selbst und eine Projektionsfläche für die eigenen Verluste, den eigenen Schmerz und die Sehnsüchte und Träume, die man hat und gerne ausleben möchte, und doch weiß man letztlich trotzdem nicht, was genau man will.
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