„Der Ball“ ist ein Gedicht von Rainer Maria Rilke, das dieser am 31. Juli 1907 während seines Aufenthalts in Paris verfasste.
Szene des Gedichts
Im Gedicht selbst gibt es trotz dieser detaillierten Datierung keine Anhaltspunkte für einen konkreten Ort. Vielmehr bleibt der Ort unbestimmt, da es um einen kurzen Zeitmoment geht, nämlich die Spanne, in der eine Person einen Ball in die Luft wirft, bis zu dem Moment, in dem dieser sich kurz vor den fangenden Händen einer anderen Person befindet.
Diese beiden Akteure werden in den Strophen 1 und 4 über ihre Hände personifiziert. „aus zwei Händen“ (1) und „höher Hände“ (4). Es könnte zwar auch sein, dass es sich um eine Person handelt, aber da der Text die Akteure in Strophe drei als „Spielende“, also Personen, die spielen im Plural fasst, ist davon auszugehen, dass sich mindestens zwei Personen an diesem Spiel beteiligen.
Soziale Interaktion während eines Spiels
Das Gedicht wendet sich allerdings an den Ball, also das Spielgerät selbst. In der ersten Zeile spricht es den Ball an „Du Runder“. Es geht jedoch nicht nur um den Ball und seine Flugkurve, sondern auch um die Interaktion der Beteiligten mit dem Spielgerät. Der Ball nimmt etwas von dem ersten Spieler, der ihn in die Luft wirft mit, nämlich die Wärme der beiden Hände.
Diese Wärme erreicht jedoch nicht den Spieler auf der anderen Seite, sie geht auf dem Weg dorthin verloren. Der Ball gibt sie fort, „oben“ „sorglos wie sein Eigenes“. Die Wärme des ersten Spielers kann nicht im Gegenstand bleiben.
Damit thematisiert Rilke das Problem, das als Aura bezeichnet werden kann. Verändert die Berührung eines Menschen ein Objekt? Wie ist es mit Kopien, können sie genauso gut sein wie ein Original, auch wenn sie nicht von den identischen Personen berührt wurden und selbst wenn sie das wurden, macht es sie doch zu etwas anderem?
In der zweiten Strophe geht es dann darum, was mit dieser entschwundenen Wärme passiert. Damit zeigt er auf, dass in einem Ballspiel, obwohl die physische Wärme es nicht schafft auf dem Ball haften zu bleiben, sie sich über die Luft, die Gedanken „zwischen Fall und Flug“ des Balls doch von einer Person auf eine andere zu übertragen.
Hier taucht das Wort „uns“ auf. Damit nimmt das lyrische Ich den Leser mit hinein in die Realität des Ballspiels. Wie überträgt sich ein Gefühl beim Spiel von einem auf die anderen?
Der Ball als machtvoller Akteur
In der dritten Strophe, mit sechs Versen die längste des Gedichtes, steht wiederum der Ball und nun vor allem seine Flugkurve im Zentrum. Das lyrische Ich zeichnet die steile Bahn des Balles nach, wie der Werfer sie intendiert hat und mit den Eigenheiten, die sie beschreibt. Der Ball entwickelt hier Macht über die Spieler.
Er transformiert sich von einem Objekt, das geworfen wird, zu der ordnenden, Spielbestimmenden Hand, so steht dort: „sie ordnend wie zu einer Tanzfigur“. Das Spiel folgt also einer bestimmten Ordnung, wie wir sie aus Tanzabfolgen kennen. Der Ball übernimmt damit die Rolle des strengen Tanzmeisters, nur dass seine Flugkurven eher unberechenbarer und weniger harmonisch sind, als die eines streng geordneten Tanzes, der Figuren aufweist.
In der letzten, kürzesten Strophe des Gedichts strebt der Ball dann wieder in Richtung Boden. Er wird wieder zu einem Objekt, das den Gesetzen der Natur ausgeliefert ist und „rasch, einfach, kunstlos, ganz Natur“ in die Hände des zweiten Spielers fällt. Die Verselbstständigung des Balles, die Machtfülle, die er hat, erstreckt sich also nur über die Phase, in der er sich am höchsten Punkt seiner Flugbahn befindet.
In diesem Gedicht wird also ein flüchtiger Moment des Ballspiels genutzt, um sich weiterführende Gedanken über die soziale Interaktion zwischen den am Spiel beteiligten zu machen. Wie verändern sich die Machtverhältnisse auf dem Platz, wie funktioniert die Kommunikation und was ist Spiel mehr, als das werfen und fangen eines Balls?
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