Die Captatio benevolentiae ist ein rhetorisches Stilmittel, welches man in allen literarischen Gattungen, also in der Dramatik, der Lyrik und der Epik, findet. Dieses Stilmittel wird dann angewendet, wenn der Autor sich mit schmeichelnden Worten an den Empfänger wendet, also denjenigen, an den sich der Text richtet, dem Leser oder Zuschauer.
Mit diesen Worten will der Autor den Empfänger darum bitten, den folgenden Text mit einem Wohlwollen anzunehmen. Somit findet man solche schmeichelhaften Worte überwiegend im Prolog.
Manchmal kann man eine Captatio benevolentiae aber ebenso in einem Epilog von Dramen wiederfinden. Immer dann, wenn sich ein Protagonist mit seinen Worten an das Publikum richtet. Aber auch dann, wenn die Figur um eine Nachricht oder einfach um Beifall bittet.
Bereits seit der Antike ist dieses Stilmittel bekannt. Man findet es vor allem in diversen Theaterstücken wieder oder auch in Reden, teilweise auch in der Prosa. Verwandt mit der Captatio benevolentiae ist die Apostrophe.
Die Captatio benevolentiae stammt aus dem Lateinischen und wird in etwa mit Haschen nach Wohlwollen übersetzt. Mit dieser Übersetzung lässt sich deutlich erkennen, worum es bei dieser Stilfigur eigentlich geht.
Der Autor richtet sich schmeichelhaft an die Adressaten des vorliegenden Textes und will dessen Wohlwollen erreichen.
Als Beispiel liegt ein Textauszug von Søren Kierkegaard vor:
Zitat aus „Die Wiederholung Brief am Ende der Schrift“
„Mein lieber Leser! Verzeih, dass ich so vertraulich zu Dir spreche, aber wir sind ja unter uns. Obgleich Du nämlich eine poetische Person bist, bist Du für mich jedoch keineswegs eine Mehrzahl, sondern nur einer, so sind wir doch bloß Du und ich […]“
In dem Beispiel mit dem Titel „Die Wiederholung Brief am Ende der Schrift“ erkennt man schon an den ersten Worten ganz eindeutig, dass der Autor mit dem Leser kommuniziert. Außerdem wird dem Leser geschmeichelt, auch wenn das eher indirekt der Fall ist. In dem Beispiel ist nämlich der Leser keine Person unter vielen, sondern er gilt als etwas Besonderes. Die Figur, die darüber nun schreibt, kann dadurch auf den Leser eine gewisse Manipulation ausüben.
In der Rhetorik findet sich oft der Fall, dass die Captatio benevolentiae einen wesentlichen Bestandteil darstellt, also vor allem in der Rede. Das Stilmittel gehört zum Exordium oder der Prooemium, also der so genannten Einleitung. Es ist hierbei häufig der Fall, dass der Redner schon im Vorfeld das Interesse und die Gunst des Publikums versucht zu bekommen.
Dabei kann er also zum Beispiel an die Weisheit des Publikums beziehungsweise des Zuhörers appellieren. Eine andere Option wäre aber auch, dass der Redner sich selber kleiner redet und sich dem Publikum somit in gewisser Weise unterwirft.
Zitat aus „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“
„Indem ich die Feder ergreife […] wenn auch müde, sehr müde (so daß ich wohl nur in kleinen Etappen […] werde vorwärtsschreiten können) […] beschleicht mich das flüchtige Bedenken, ob ich diesem geistigen Unternehmen […] denn auch gewachsen bin.“
Das eben zitierte Beispiel stammt aus dem Roman „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ von Thomas Mann, das nicht vollendet wurde. Dieses Beispiel zeigt, dass es nicht der Autor beziehungsweise der Redner ist, der sich an einen Adressaten wendet. Es ist vielmehr der Protagonist selber.
Es ist also in dem Fall so, dass Felix Krull, um den es hier geht, sich vor dem Adressaten kleinmacht, in dem er meint, er sei müde und wisse nicht, ob er es tatsächlich schafft, das Ganze auch wirklich zu Papier zu bringen. Auch diese Art von Wohlwollen, indem man sich kleinmacht, ist eine Variante, das Publikum für sich zu gewinnen.
Die Captatio benevolentiae war vor allem im Mittelalter dazu gedacht, in Gerichtsverhandlungen ein Mittel dafür, die dafür sorgte, die Gunst der Richter bereits vor der eigentlich beginnenden Verhandlung zu erlangen.
Damit sollte bereits von der Unschuld überzeugt werden oder eben auch von der Richtigkeit einer erhobenen Anklage. Ein bekannter Vertreter für die Verwendung dieser Stilfigur war Guillaume Durand (1230 bis 1296) genannt werden. Er war vor allem dafür bekannt, dass er richterliche Weisheit noch lobend unterstrich, um damit das Wohlwollen des Tribunals zu erlangen.
Beispiele für die Captatio benevolentiae wären dabei William Shakespeares Romeo und Julia, Briefe des Paulus gerichtet an die Römer von Paulus von Tarsus, aber auch Miguel de Carvantes‘ Don Quijote.
Eine Kurzübersicht: Das wichtigste der Captatio benevolentiae auf einen Blick
Die Captatio benevolentiae fällt unter die rhetorischen Stilmittel und bezeichnet dabei die schmeichelhaften Anreden eines Empfängers, eines literarischen Textes oder aber einer Rede. Der Zweck der Captatio benevolentiae ist es, das Wohlwollen eines Adressaten zu erlangen, womit man dadurch auch behaupten kann, dass der Adressat manipuliert wird. Hauptsächlich in der Rhetorik besitzt dieses Stilmittel eine beeinflussende Funktion.
Wenn man das Stilmittel allerdings weiter betrachtet, kann man nicht nur davon ausgehen, dass es darum geht, einfach nur die Gunst des Empfängers zu erhalten. Es ist vielmehr auch eine Formel, die darauf aus ist, die Sympathie eines Lesers zu bekommen.
Solche Schmeicheleien sind häufig im Prolog zu finden, aber auch im Epilog eines Dramas. Doch sie können auch direkt mitten im Text auftauchen. Zum Beispiel dann, wenn sich ein so genannter auktorialer Erzähler direkt an einen Leser wendet.
Ein kleiner Hinweis: Seit 1996 schlägt der Duden vor, das benevolentiae anders zu schreiben und zwar ein großes B, also Captatio Benevolentiae. Diese Schreibung ist allerdings kein Muss, sondern wird lediglich als Empfehlung angesehen. Denn dieses Stilmittel ist eher in einer alten Schreibweise geläufig.
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